Bühne frei für Hesse und Büchner
Fundierter Deutschunterricht, der ein literarisches Werk von unterschiedlichen Seiten beleuchtet, Erklärungsansätze liefert und auf alle analytischen Gesichtspunkte hin bis zur Erschöpfung durchwalkt, ist für viele Schülerinnen und Schüler die vorherrschende Begegnungsart mit den relevanten Werken der Literaturgeschichte. Jeder weiß: Ein solches Vorgehen ist für das Erlangen eines tieferen Grundverständnisses meist unabdingbar. Ein Erlebnis im eigentlichen Sinn ist das aber meistens nicht. Was in der Welt zwischen den zwei Buchdeckeln wirklich passiert, wie sie farblich gestaltet ist, riecht, und wie die auftretenden Personen in natura tatsächlich wirken - das zeigt nichts so unmittelbar, nah und echt wie das Theater. Dass es sich dabei nicht immer um tatsächlich für die Bühne konzipierte Dramen handelt, tut dieser Erfahrung meist keinen Abbruch, im Gegenteil!
Die Schülerinnen und Schüler der Klassenstufe 12 und 13 des Beruflichen Gymnasiums freuten sich deshalb sehr, dass Hermann Hesses Steppenwolf und Büchners Woyzeck vom Mobilen Theater Karlsruhe für zwei Stunden zum Leben erweckt wurden.
Erfahrungsbericht: "Der Steppenwolf"
Am Freitag, den 03.03.2023 besuchten wir, die Schülerinnen und Schüler der 13. Klasse, mit unseren Deutschlehrerinnen die Aufführung des Theaterstücks „Der Steppenwolf“ nach Hermann Hesse. Dafür waren Franka Steiner und der Schauspieler Julian Koenig vom Mobilen Theater Karlsruhe an der Kaufmännischen Schule in Schwäbisch Hall.
Das circa 70-minütige Theaterstück wurde in Form eines Ein-Mann-Theaters dargestellt. Es war beeindruckend, wie mit nur einem Schauspieler und wenig Requisiten das Stück so gut umgesetzt wurde. Da uns Hermann Hesses Roman „Der Steppenwolf“ aus dem Unterricht bereits bekannt ist, war es interessant zu sehen, wie gut das Schauspiel, der Text und die Requisiten interpretiert und durchdacht waren und trotzdem die Möglichkeit für eigene Interpretationen bestand.
Nach der Aufführung war in einer Gesprächsrunde noch Zeit für Fragen und Anmerkungen zum Theaterstück, zum Schauspiel und zur Interpretation. Beispielsweise wurde darüber gesprochen, wie man das Stück im Bezug zur heutigen Zeit sehen und wie sich jeder ein Stück weit mit dem Protagonisten Harry Haller identifizieren kann.
Bericht: Leonie Neber (SG13)
Erfahrungsbericht: "Woyzeck"
Manche Romane oder Theaterstücke kann man sich als Ein-Personen-Stück gut vorstellen, so etwa den „Steppenwolf“, der ausschließlich Erlebnisse der Hauptperson beinhaltet, aus verschiedenen Perspektiven, nicht zuletzt aus ihrer eigenen, erzählt. Bis kurz vor der Aufführung konnte ich mir nicht vorstellen, wie das beim „Woyzeck“ von Büchner funktionieren kann, wo auch einige Szenen ohne die Hauptperson zu finden sind.
Das Stück in einer Inszenierung von Thorsten Kreilos von „THEATERMobileSPIELE“ aus Karlsruhe setzt ein, nachdem Woyzeck seine Lebensgefährtin Marie aus Eifersucht ermordet hat und von der Polizei gestellt wurde. Man hört von Band den Ausrufer eines Jahrmarkts, wie er Woyzeck als „die Kreatur“ ankündigt. Dann robbt er, verwirrt und abgehetzt, hinter einem Zaun durch Kleiderberge und stopft nach einem schrillen akustischen Signal alle paar Minuten hastig Erbsen aus einem Blechnapf in sich hinein. Woyzeck versucht nun, die Ereignisse, die ihn zum Mord „motiviert“ haben, aus seiner Erinnerung nachzuvollziehen. Das geschieht so, dass er nach und nach aus dem Kleiderberg verschiedene lebensgroße Puppen hervorholt und mit diesen die Szenen nachspielt. Die Puppen bleiben stehen und so entsteht nach und nach ein alptraumhaftes Panorama von verschiedenen Figuren aus dem Stück (Hauptmann, Doktor, Marie mit Kind) zwischen denen Woyzeck herumkriecht. Vor dem grau melierten Bühnenbild zeigt sich so eine ganz eigenen ästhetische Qualität der Inszenierung.
Um die Frage vom Anfang aufzugreifen: Ja, Woyzeck funktioniert als Ein-Personen-Marionetten-Theaterstück, wenn man sich darauf einlässt, dass alle Figuren außer Woyzeck Puppen sind und sämtliche Dialoge vom gleichen Schauspieler eingesprochen werden. Die Einlassung funktioniert umso besser, wenn man bedenkt, dass es sich - gerade beim Hauptmanna und beim Doktor - schon in Büchners Vorlage um überzeichnete Figuren handelt und dass sie zudem - nach der Logik des Stückes - aus der Imagination von Woyzeck „wiederauferstehen“.
Im übrigen bestehen sämtliche Dialoge an diesem Abend aus Originalzitaten aus Büchners „Woyzeck“; auch die Reihenfolge der Szenen bewegt sich im Rahmen der gängigen gedruckten Textausgaben. Auf diese Weise kommen auch diejenigen Schülerinnen und Schüler nicht durcheinander, die in nächster Zeit einen Aufsatz zum „Woyzeck“ schreiben und auf den korrekten Ablauf der Szenen achten müssen.
Es war eine sehr beachtliche künstlerische wie konditionell-sportliche Leistung von Rouven Honnef, dem es gelang, das hohe Tempo im Stück aufrechtzuerhalten und der die Puppen - so holzschnittartig sie auch waren (so konnte etwa der Mund nicht bewegt werden) - zum Leben erwecken konnte.
In der Diskussionsrunde im Anschluss an die Aufführung wurde Honnef gefragt, ob es ihm nicht lieber sei, mit echten Schauspielern zu spielen. Seine Antwort war interessant: Es komme auf die Schauspieler an, manchmal seien ihm die Puppen lieber. Meine Meinung ist jedoch: Ob man nun seine Schauspielkolleginnen und -Kollegen mag oder nicht, so entsteht doch auf der Bühne etwas zwischen den von „echten Menschen“ gespielten Figuren, eine Art Spannungs- oder Beziehungsfeld, die das, was gesagt wird, unterstützt oder ergänzt. So etwas kann von Puppen nicht geleistet werden.
Bericht: Bernd Grün
Hinweis: Bei der Theateraufführung handelte es sich um eine geschlossene, nicht-öffentliche Veranstaltung.